Pavlo Shvarts, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine, über „die Akzeptanz der menschlichen Grenzen“

GENF, Schweiz (LWI) – Ein Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht in Sicht. Angesichts dieser Situation berichtet der Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU), Pavlo Shvarts, über die Ängste und das Gefühl der Hilflosigkeit, mit dem die Pfarrer und Menschen konfrontiert sind, sowie über seine Hoffnung auf einen gerechten Frieden in der Region. Auf der diesjährigen Ratstagung des Lutherischen Weltbundes (LWB) wurde die DELKU über eine Direktmitgliedschaft als 149. Mitgliedskirche aufgenommen.

Als Pfarrer einer Gemeinde in der nordöstlichen Stadt Charkiw, die während der Invasion im Februar ein wichtiges russisches Ziel war, blieb Shvarts bei seinen Gemeindemitgliedern und verließ die Stadt nur, um seine Frau und seine Kinder in Sicherheit zu bringen. In den meisten Gemeinden finden weiterhin Gottesdienste statt, und ihre Pfarrer bieten den Menschen in Not jede erdenkliche Hilfe und Unterstützung an.

Priorität hat für Shvarts die praktische und psychologische Unterstützung der Pfarrer selbst, da so viele Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Arbeit verloren und nun kein Einkommen haben. Zu Beginn des Krieges organisierte er ein Online-Treffen für Geistliche, bei dem sie sich über ihre Probleme austauschen konnten, insbesondere über die Gefühle der Hilflosigkeit, Schuld und Angst, mit denen sie konfrontiert wurden. „Die Kriegserfahrung ist auch die Erfahrung, die eigenen menschlichen Grenzen zu akzeptieren, zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die nur Gott tun kann“, sagt er.

Pavlo Shvarts, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine. Foto: LWB/S. Gallay

Mehr als acht Jahre Krieg

Während der Beschuss der Städte im Süden und Osten des Landes weitergeht, sei es nach Angaben des Bischofs schwer zu sagen, wie viele Gemeindemitglieder ihre Häuser oder andere Besitztümer verloren haben. Außer in Charkiw und Odessa hätten die meisten Menschen ihre Häuser nicht verlassen, und einige, die sich nach der Verstärkung der russischen Angriffe im Februar in Sicherheit gebracht hätten, seien inzwischen in ihre Heimatstädte zurückgekehrt.

Shvarts betont jedoch, dass der aktuelle Konflikt lediglich eine Intensivierung des Krieges sei, den Russland seit der Annexion der Halbinsel Krim vor mehr als acht Jahren gegen die Ukraine führe. „Während diese Annexion praktisch ohne militärische Auseinandersetzungen vollzogen wurde, war der nächste Schritt die Besetzung des Donbass. Diese Episode in den Jahren 2014-2015 war eine blutige Episode unseres Krieges.“

„Es gab in dieser Zeit mehr als 10.000 zivile und militärische Todesopfer“, fügt Shvarts hinzu. „Wir können also sagen, dass dieser Krieg ununterbrochen andauert.“ Er weist darauf hin, dass die Ukraine das flächenmäßig größte europäische Land sei, aber „trotzdem haben russische Raketen unser gesamtes Territorium getroffen, und diese Gefahr besteht bis zum heutigen Tag“.

Gerechter Frieden und Glaubensfreiheit

Über die Notwendigkeit eines gerechten Friedens in seinem Land sagt Shvarts: „Frieden ohne Freiheit macht aus unserer ukrainischen Perspektive keinen Sinn. Wir wollen uns nicht der Russischen Föderation unterwerfen, nur damit sie aufhört, Bomben auf uns abzuwerfen, Raketen abzuschießen oder Panzer über unser Gebiet zu fahren.“

„Wir wollen frei bleiben, auch frei in unserem Glauben“, fährt er fort, „denn das ist für uns als lutherische Christinnen und Christen ebenfalls entscheidend.“ Die Lage in der Donbass-Region habe bereits gezeigt, „dass wir im Falle einer Besetzung durch Russland eine verfolgte Minderheit sein werden“, sagt er.

Er betont, dass bei einem gerechten Frieden „die Dinge beim Namen genannt werden: das Opfer wird Opfer genannt, der Angreifer wird Angreifer genannt, die Sünde wird Sünde genannt“. Ansonsten sei es unmöglich, über die nächsten Schritte einer „möglichen Versöhnung oder zumindest Vergebung“ zu sprechen, sagt er. Auf der Website der Kirche könne man Augenzeugenberichte von Gemeindemitgliedern über ihre Kriegserlebnisse finden, sagt er. Sie berichten dort, was ihnen widerfahren ist und wie sie die Kraft zum Überleben gefunden haben.

„Die Verkündigung des Evangeliums bringt die Hoffnung, dass Gott immer bei uns ist, trotz der Umstände und dessen, was in unserer Nähe geschieht. Er ist derjenige, der uns hilft, der uns zuhört“, so Shvarts. Er fährt fort, dass die Botschaft von Ostern „die unglaubliche Kraft der Hoffnung, die wir durch die Auferstehung erhalten“, sei. „Und es scheint, dass die Botschaft von Ostern in dieser Zeit vielen Gläubigen besonders viel bedeutet.“

Die Zugehörigkeit zum LWB, „ist für unsere kleine lutherische Kirche von entscheidender Bedeutung“, so der Bischof, und es erinnere die Menschen daran, „dass wir zu einer größeren lutherischen Gemeinschaft gehören, in der wir in Gemeinschaft und Gottesdienst vereint sind und eine gemeinsame Vision haben, wie wir den Menschen helfen können“. Mit Dankbarkeit nimmt er die vielen Zeichen und Gesten der Unterstützung durch andere lutherische Kirchen zur Kenntnis, die Gebete sowie finanzielle und materielle Hilfe angeboten haben.

Abschließend sagt er: „Mit Gottes Hilfe versuchen wir auch, alle Hilfe, die wir erhalten, so effizient und klug wie möglich einzusetzen. Ich danke Euch immer wieder für die Gebete und die Unterstützung, die die lutherischen Kirchen in Europa und darüber hinaus für die Flüchtlinge aus der Ukraine leisten.“

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